Sei mir nahe


Zwei grüne Kreise mit Symbolen: Mundschutz das eine, 1,5 m Abstand das andere.

Ich sitze im Wartezimmer meines Arztes. Vor mir steht ein Plakat mit den momentanen Verhaltensregeln. So praktizieren wir unseren Umgang miteinander, um den Kampf mit dem gefährlichen Virus aufzunehmen, unsere Lieben und uns sowie unsere Nächsten zu schützen.

Darunter sind zwei rote Kreise: Begleitung und Händeschütteln ist dargestellt. Auch das ist wichtig: Begleitung und Händeschütteln ist nicht erwünscht. Für das Händeschütteln hat sich oft eine neue Form der Begrüßung entwickelt mit Faust und Ellenbogen. Begleitung einschränken fällt uns sehr schwer. Wir wollen nahe sein, Wege mitgehen, unterstützen.

Besonders schwierig empfinde ich es in der Trauersituation, beim Abschiednehmen von einem lieben Menschen. Man tauscht Geschichten, Erinnerungen aus. Man spricht sich Trost zu. Und dann kommen diese Momente, da tragen Worte nicht mehr, man hakt sich ein, nimmt sich in den Arm und hält die Stille aus – in innerer und äußerer Verbundenheit. Haben wir im letzten Jahr viel geschafft im veränderten Umgang miteinander, spüre ich hier eine starke Suchbewegung: Wie kann ich meine innere Anteilnahme zeigen und doch in der gebührlichen Distanz bleiben? Oft erlebe ich eine große Verunsicherung in der Trauergemeinde. „Ich möchte dir doch so gern nahe sein, aber wie geht das ...“

Letzte Woche habe ich das erste Mal eine gestreamte Trauerfeier in der Rahlstedter Friedhofskapelle geleitet. Herr Habel und sein Team haben es geschafft, die technischen Möglichkeiten zu erstellen und alle Datenschutzfragen zu klären, dass nun in allen Teilen der Welt Angehörige die Übertragung der Trauerfeier live verfolgen können. Die Anreisemöglichkeiten sind beschränkt, in der Kapelle stehen begrenzte Plätze zur Verfügung. Und doch können alle Anteil nehmen. Die Kameras nimmt man nicht wahr, Licht und Ton haben sich nicht geändert. Man kann ganz und gar bei dem lieben Menschen sein, den man verabschiedet. Man kann als Familie und Freund/-innen beieinander sein, Gedanken und Gefühle teilen. Und wir können auch in der Ferne gemeinsam beten. Im Gebet sind wir nahe verbunden bei aller gebührlichen und nötigen Distanz. Vielleicht finden wir hier ja neue Formen, uns zu begleiten.

„Du, guter Gott, bist der Gott des Lebens. Du gibst uns neuen Mut und stellst uns wieder auf die Füße. Wir sehen immer wieder neue Wege und neue Möglichkeiten!“ (Aus Psalm 18)

Ihr Pastor Jürgen Wippermann