„Dass mich so viele Leute brauchen macht mich glücklich“ sagte mir die im Oktober 1959 geborene Valentina Wasiljew, die ich immer wie einen Wirbelwind wegen ihrer vielen Aktivitäten für Andere empfand. Unsere Treffen begannen mit ihrem Entsetzen über den russischen Angriff gegen Ukraine, weswegen sie einige Wochen bitterlichst geweint habe. Einer russischen Freundin aus der gemeinsamen Schulzeit hatte sie klar gemacht, das die russischen Medien nur pro Krieg Propaganda machten und der Freundin ukrainische Informationsquellen genannt, die das dankbar aufgenommen habe.
Valentina ist seit 18 Jahren in Deutschland. Sie wurde in der Industriestadt Tscheljabinsk, 1.500 Kilometer östlich von Moskau geboren. Ihr ist es wichtig dass die Russlanddeutschen hier richtig gesehen und benannt werden. Dieses Anliegen hat sie bewogen, sich von unserer Biografiewerkstatt portraitieren zu lassen.
Beim ersten deutschen Satz, den man sie sprechen hört, ist klar, dass sie nicht immer hier gelebt hat. Sie nennt das Deutsch, das sie spricht ein ‚konserviertes, wie eingelegte Gurken‘. Es hat sich ganz wenig geändert, seit ihre Vorfahren vor 250 Jahren nach Russland ausgewandert sind.
Valentinas Leben in Deutschland begann am 18. März 2005, als sie mit Mann Alexander und den beiden Kindern Pavel und Katharina per Flugzeug in Hannover landete. Von dort ging es ins Grenzdurchgangslager Friedland in der Nähe von Göttingen. Dort mussten sich alle sogenannten Spätaussiedler registrieren lassen. Dort bekam man ein Papier, das einem mitteilte, wohin man ziehen durfte. Sie wollte nach Braunschweig, weil dort alle ihre Verwandten lebten. Doch die Stadt nahm keine Spätaussiedler auf. Die Familie hatte die Wahl zwischen Hamburg und Berlin. So sind sie nach Hamburg gekommen.
Valentina und ihre Landsleute wurden sowohl in Russland als auch hier diskriminiert. In keinem der Länder hat sie sich wirklich angenommen gefühlt und das gelte auch für viele ihrer Landsleute. Sie meint viele würden nach Russland zurücksiedeln, wenn sie eine Art Autonomie bekämen, wie sie viele andere Ethnien in Russland bekommen haben.
Viele hiesige Deutsche hielten Valentina für einen Wirtschaftsflüchtling, wogegen sie sich vehement wehrt. Materiell ging es ihrer Familie in der Industriestadt Tscheljabinsk gut. Sie besaßen eine große Wohnung mit vier Zimmern, eine Datscha, zwei Autos und verdienten gut. In Hamburg wohnt Valentina in einer kleinen Zweizimmerwohnung zur Miete.
2016 wurden Valentina und ihr russischer Mann Alexander geschieden. Sie bejaht die Frage ob das Umsiedeln nach Deutschland die Ehe auseinandergerissen hat.
Valentina hat zwei Berufe gelernt: Technik-Elektrikerin und Bürokauffrau. Als Technikerin arbeitete sie in einer Tscheljabinsker Firma, die Batterien für Torpedos produzierte. Durch die Entspannung zwischen Ost und West verlor sie diese Arbeit und lernte um zur Bürokauffrau, was sie wegen ihrer Russisch-Kenntnisse für einen Arbeitgeber der mit Russland handelte sehr wertvoll machte. So hat sie 25 Jahre in diesem Beruf gearbeitet.
Hier schulte sie mit Unterstützung des Job-Centers zur Bürokauffrau um.
Wie die meisten ihrer Landsleute, ist Valentina sehr gläubig. Das helfe ihnen mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen. In der Maria-Magdalena-Kirche am Osdorfer Born und im Hamburger Verein der Deutschen aus Russland ist sie sozial sehr aktiv.
An zwei Tagen in der Woche leitet Valentina zwei Gruppen von russlanddeutschen Senioren, eine bestehend nur aus Frauen, fast alle Witwen, und eine gemischte. In den etwa zwei Stunden ihres Beisammenseins sprechen sie hauptsächlich Russisch.
Valentina tanzt auf so vielen Hochzeiten, dass ein Burn-out droht. Ist ihr schon mal passiert. Sie erholte sich bei ihrer jüngeren Schwester Lussi in Russland. Ihre Gesundheit ist nicht robust. Im Herbst und Frühling ist sie oft erkältet. Der Sinn ihres Lebens sagt sie sei anderen zu helfen. „Ich weiß, warum ich lebe.“ Irgendwelche unerfüllten Wünsche? „So lange wie möglich gesund zu bleiben.“